Zwillingstisch

Tagungstisch
Tagungstisch
Zwillingstisch
Tagungstisch der Außenministerkonferenz am 14./15. April 2015 in Lübeck

Kunst ist immer ein Prozess.
Und so habe ich, inspiriert durch meine Arbeit am Tagungstisch, einen weiteren Tisch gefertigt, der eher Objektcharakter hat.

 

Nein, eigentlich ist es kein Zwillingstisch. Denn zwar sind die Baupläne weitgehend gleich, sind wesentliche Merkmale identisch. Aber der Tagungstisch ist kein Typbau, dem mein Zweitbau fast unverändert folgt. Beide Tische haben ihre Unverwechselbarkeit.

 

Für mich gehören diese beiden Tische zusammen. Warum?

 

Der Tisch für den 14./15. April in Lübeck ist ein sehr besonderer Tisch, ein Tisch mit Symbolcharakter. Ein Tisch, der nicht einfach nur ein Tisch ist – er ist, auch, ein Kunstwerk. Und als solches ein temporäres Mahnmal. Ein Tisch wie kein anderer.

 

Aber seine Platte ist glatt – und eben. Das ist sie nicht nur, weil Tischplatten nun mal so sind. Das ist sie, weil ich darin ein Sinnbild sehe – ein Sinnbild dessen, was an ihm erzeugt werden soll, vielleicht ja auch erzielt wird: Konsens, Harmonie. An diesem glatten, ebenen Tisch glättet man Dissonanzen, findet man gemeinsame Nenner, kittet man Risse. Und das ist gut so. Das ist die Aufgabe derer, die an ihm sitzen. Und, ja, man kann sich an ihm erfreuen. Es bereitet, auch, Genuss, an ihm zu sitzen, weil er ist wie er ist. Dazu ist er da. Dieser Tisch bemüht sich gewissermaßen, die, die an ihm sitzen, dazu zu bringen, möglichst lange an ihm sitzen bleiben zu wollen, wodurch die Chance auf Dialog wächst – und auf Gemeinsamkeit. 

Mit dem zweiten Tisch bin ich einen Schritt weitergegangen. Derselbe Panzersperrenfuß. Dieselben Grundmaße. Dasselbe Holz. Nur: seine Platte ist rau. Und sie ist nicht eben, schließt nicht als Rund ab, sondern zeigt sich wild zerklüftet. Er ist, auch, ein Tisch. Aber in erster Linie ist er eine Skulptur. Wer versuchen wollte, an ihm zu sitzen, mit Akten, Redemanuskripten, Kaffee, Mineralwassergläsern, hätte es schwer – obwohl: möglich wäre es natürlich, man müsste nur den Willen aufbringen, seine bewusste Unbequemlichkeit als Herausforderung zu sehen.

 

Die Welt, signalisiert er in meinen Augen, ist in sich zerrissen. Tief zerrissen. Konflikte allerorten. Soziale. Ideologische. Ökologische. Nicht, dass Konsens, dass Harmonie nicht möglich ist. Aber die Fehler überwiegen. Ein eher pessimistischer Tisch also. Der Tagungstisch dagegen ist optimistisch. Und beides hat seine Berechtigung.

 

Das Holz beider Tische ist ein Sinnbild dafür, dass wir im Einst wie im Jetzt auf dieselben Widrigkeiten treffen. Was uns zu der Frage führt: Sind diese Widrigkeiten schicksalsgebunden? Sie sind es nicht. Es liegt in unserer Hand, diese Düsternisse heraufzubeschwören. Und wir tun es, immer wieder. Wie als liebten wir das Leid.

 

Der Tagungstisch sagt dem Betrachter: Es ist nicht zu spät, das zu ändern. Und das ist gut so. Sagten sich das seine Benutzer nicht, bräuchten sie gar nicht an ihm zu sitzen. Mein Tisch sagt dem Betrachter: Hoffen wir es - aber was, wenn diese Hoffnung trügt?